Ich habe mich auf dieses Weihnachtsfest wirklich nicht sonderlich gefreut. Das lag nicht direkt an meinen Eltern oder an meinem Bruder. Es war vielmehr die Angst vor Streit und der daraus resultierenden peinlichen Stille. Aber bislang war es gar nicht so schlimm. Eigentlich war es sogar richtig gut.
Weihnachten war jahrelang immer die Zeit, in der der Druck auf meine Mutter am größten war: Post von der sonst erfolgreich verdrängten Verwandtschaft, der Besuch bei ihren Eltern, die Erwartung an eine heile Welt an Heiligabend. Natürlich ging das niemals gut. Jedes Jahr flogen kurz vor der Bescherung die Fetzen. Dann kam der erste Weihnachtstag mit dem Zwangsbesuch bei meinen Großeltern und wieder flossen Tränen. Das falsche Hemd angezogen, die falsche Beilage gekauft, das falsche Geschirr benutzt. Eine dreitägige Gratwanderung, für meine Mutter und für uns.
Mittlerweile hat sich zum Glück einiges geändert. Die ganze bucklige Verwandtschaft wird nun einfach komplett ignoriert. Weihnachten, das bedeutet jetzt meine Eltern, mein Bruder und ich. Die Abläufe sind jetzt viel routinierter. Und nach Jahren des Schweigens komme ich sogar soweit mit meinem Bruder klar, dass wir zusammen Dinge deeskalierend kleinreden können. Es ist kein Spaß, aber Humor hilft.
Und urplötzlich wird dieses Jahr auch das Thema Depressionen zum allerersten Mal bei uns offen angesprochen. Ich war im ersten Moment vollkommen irritiert. Aber in meiner Abwesenheit muss es irgendeine stille Übereinkunft gegeben haben, wonach die Krankheit nun endlich kein Tabu mehr ist. Eine echte Erleichterung. Hat die letzte Therapie tatsächlich geholfen? Die Kur im Vorfeld? Dass die Frührente endlich sicher ist? Sind es neue Medis? Ihr Ehrenamt? Gerade bin ich einfach nur froh, DASS sich etwas geändert hat. Über die Ursachen kann ich auch später noch rätseln.
Gestern beim Spieleabend machte sie sogar Witze darüber, dass wir sie ja unbedingt gewinnen lassen müssten, denn das wäre immerhin sehr förderlich für die Genesung. Und auch sonst wurde kein Blatt vor den Mund genommen. Natürlich sind Depressionen kein Spaß. Aber es ist zumindest eine Form des Gesprächs. Ein Anknüpfungspunkt für uns als Familie.
Ich traue mich auch nicht zu glauben, dass dieses Zustand halten wird. Ab Februar ist Schluss mit der Ergotherapie, mit der Begründung, dass die Frührente nach ihrem Burnout ja nun unbefristet bewilligt wäre und man damit alles wichtige erreicht hätte. Was für ein Schwachsinn. Aber bis dahin genieße ich erst einmal diese etwas anderen Weihnachtstage.
Frohes Fest!